Seit der offenkundig chaotischen Übernahme von Twitter im Herbst 2022 durch Elon Musk tut sich einiges auf der Kurznachrichtenplattform. Der ikonische Einzug Musks in die Twitter-Zentrale in San Francisco inklusive Spülbecken („Let that sink in“) setzte den Grundstein für tiefgreifende Veränderungen, beginnend mit der Entlassung zahlreicher Mitarbeiter:innen, über technische Stolpersteine und Debatten zu käuflichen Verifizierungshaken, bis hin zur aktuellsten Veränderung: der Aktualisierung des Corporate Designs.
Das neue Design soll die Verbindung zwischen der alten und der neuen Plattform symbolisieren und gleichzeitig ein frisches und modernes Aussehen bieten. Damit einhergehend wird das berühmte Logo des blauen Vogels, das seit 2012 unverkennbar für Twitter steht, durch ein „X“ ersetzt, mit einem dicken und feinen Abstrich samt Inline.
Wer sich mit Musks beruflichem Werdegang befasst, stößt schnell auf den Ursprung des neuen Logos, das auf die „X Corporation“ zurückgeht – eine Holding Elon Musks, die nun mit Twitter verschmolzen wird. Mit den Änderungen im Corporate Design läutet Musk eine neue Ära des Unternehmens ein: X soll eine Art „Alles-App“ nach dem Vorbild WeChats, und damit Teil einer größeren Initiative werden.
Doch sicher ist: Ein neuer Name und ein neues Logo genügen nicht, um dem Unternehmen eine neue Identität zu verleihen. Das gesamte visuelle Erscheinungsbild muss überarbeitet und angepasst werden, um die Grundlage für eine neue Wahrnehmung des Unternehmens zu schaffen: Mission, Vision und Werte der Marke müssen sich in der visuellen Identität widerspiegeln und einen ganzheitlichen Markenauftritt bilden, der für eine Differenzierung auf dem Markt sorgt. Auch Twitter war nie besonders gut darin. Das Erscheinungsbild der Marke entwickelte sich eher graduell. Seit dem letzten Relaunch 2021 verfügt es aber mit den „Graffitiabgerissenplakatekratzermotiven“ über ein starkes Gestaltungselement.
Um eine eindeutige Positionierung zu erreichen, ist ein grundlegendes Verständnis darüber notwendig, wodurch sich die visuelle Markenidentität auszeichnet. Sie setzt sich demnach also nicht nur aus Name und Logo zusammen, sondern beinhaltet verschiedene Elemente, die für Einzigartigkeit und Wiedererkennungswert sorgen. Dazu zählen beispielsweise auch die Hausschrift, die Hausfarben, der Bild- oder Illustrationsstil, Gestaltungskonstanten (die abgerissenen Plakatmotive vormals bei Twitter) sowie ein Icon-Stil. Durch die Verwendung dieser visuellen Elemente schafft eine Marke eine einheitliche und konsistente Präsenz in all ihren Kommunikationskanälen, was wiederum das Vertrauen in der Zielgruppe stärkt (vgl. Mere-Exposure-Effekt). Sie tragen auch dazu bei, dass sich potenzielle Kund:innen besser mit der Marke identifizieren und sich von ihr angezogen fühlen. Es ist davon auszugehen, dass der kohärente Einsatz der visuellen Elemente bei Twitter mit dazu beigetragen hat, einen Markenwert von geschätzten 15–20 Mrd. US-Dollar zu generieren.
Eine glaubwürdige Neuausrichtung der Markenidentität kann also nur mithilfe eines ganzheitlichen Ansatz verfolgt werden. Denn die Erneuerung auch nur des visuellen Erscheinungsbildes der Plattform (oder gar nur des Namen und Logos!) allein genügt nicht, sondern auch ihre Werte und Botschaften müssen hinterfragt und neu ausgerichtet werden. Denn das ist schließlich Sinn und Zweck eines Relaunches.Im Falle von X wurde gewissermaßen das Pferd von hinten aufgezäumt. Teile der visuellen Identität wurden kurzerhand geändert, doch warum das geschah, bleibt uns Musk weitgehend schuldig.
Ein Markenrelaunch setzt eine sorgfältige Analyse der Zielgruppe und des Wettbewerbsumfelds voraus. Ein tiefgreifendes Verständnis über die Stakeholder kann beim Treffen relevanter strategischer Entscheidungen helfen und Kund:innen resp. Nutzer:innen an die Marke binden. Schließlich sind auch die internen Prozesse und Strukturen der Organisation bei der Neuausrichtung und einer angestrebten erfolgreichen Positionierung der Marke zu berücksichtigen. Sie prägen die Wahrnehmung der Marke und des Unternehmens nach innen und außen.
Für Twitter bzw. X ist eine ganzheitliche Neuausrichtung der Marke insbesondere nach dem kürzlichen Launch des Meta-Konkurrenten essentiell, da sich mit „Threads“ neben „Mastodon“ ein weiterer Wettbewerber auf dem Markt platziert hat. Bei X scheint es bisher jedoch, als fehle eine klare Markenstrategie hinter dem Relaunch, um die Veränderungen in der visuellen Identität zu rechtfertigen. Denn eine solide Markenstrategie umfasst nicht nur die visuelle Identität, die Musk durch Änderung des Namens und des Logos zu schaffen versucht. Genau hierin zeigt sich der Widerspruch zwischen dem vermeintlichen Ziel des Relaunches – der Switch zur Alles-App – und dem, was bei X bislang getan wurde, um es zu erreichen.
Es ist wichtig, die Kernwerte und Botschaften der Marke bei der Gestaltung eines Logos zu berücksichtigen, um nahtlos in das Gesamtbild der Marke zu passen und die gewünschte Botschaft an die Zielgruppe effektiv zu kommunizieren. Bei genauerer Betrachtung scheint das X-Logo jedoch nicht zur bestehenden visuellen Identität zu passen und könnte bei Nutzern Verwirrung stiften. Das zeigt sich bereits daran, dass die Weiterleitung von x.com noch immer mit einem einfachen Redirect auf twitter.com erfolgt. Dabei bleibt die Twitter-URL in der Adresszeile erhalten. Oder im Header des Hilfe-Bereichs wo weiterhin die besagte Plakate-Grafik samt Vogel-Logo zu finden. Auch die App hört weiterhin auf den Namen Twitter – und ist nebenbei nur noch im Darkmode verfügbar.
Bereits diese Bespiele lassen die Einführung des neuen Designs ungeplant und ohne klare Strategie wirken. Eine klare Strategie zu verfolgen, ist im Falle einer Einführung neuer Designs in Unternehmen aber entscheidend dafür, ob die diese Neuausrichtung gelingen kann. Damit die Zielgruppe das neue Design akzeptiert, muss sie verstehen können, wodurch es sich auszeichnet und welchen Mehrwert es hat. Eine begleitende Kommunikation über die Neuausrichtung unterstützen dabei und erleichtern der Zielgruppe den Übergang vom Gewohnten zum Unbekannten, steuern die Erwartungen bei den Rezipienten und tragen zur Vermeidung von Missverständnissen bei. Unternehmen sollten während des Prozesses unbedingt Feedback der Zielgruppe einfordern und dieses ernst nehmen. Nur so kann das Unternehmen sicher sein, dass das neue Design deren Bedürfnissen und Erwartungen entspricht und zukunftsfähig ist.
Die Zukunft von Twitter bzw. X ist ungewiss. Ob der Marken-Relaunch das Unternehmen einen weiteren Schritt in Richtung Bedeutungslosigkeit treiben wird oder ob der Wandel hin zu etwas Größerem gelingen wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass sowohl die Entscheidung als auch die Umsetzung zum neuen Design einen ganzheitlichen Ansatz bislang vermissen lassen. Es wird sich zeigen, inwieweit es Musk mit X gelingen wird, sich gegenüber der Konkurrenz dauerhaft zu behaupten.
Ein neuer Name und ein neues Logo sind nur Teile einer neuen Identität. Es ist eine umfassenden Markenstrategie notwendig, die nicht nur die visuelle Identität, sondern auch Markenwerte, Botschaften, Zielgruppe und Positionierung umfasst. Ansonsten bleibt der Relaunch oberflächlich und sorgt für Irritation bei der Zielgruppe. Auch die anderen visuellen Elemente wie Typografie, Farben und Gestaltungskonstanten sind bei der Schaffung einer konsistenten und erkennbaren Markenpräsenz wichtig. Bei der Änderung von Twitter zu X fehlt eine Markenstrategie hinter dem Rebranding. Das X-Logo stimmt nicht mit der bestehenden visuellen Identität überein, da es dieser schlicht in das bestehende Erscheinungsbild hinzugefügt wurde. Die Einführung des neuen Designs wirkt ungeplant und es fehlt an begleitender Kommunikation während des Übergangs.
Vielen Dank an Svenya Scholl für die Unterstützung bei der Verfassung dieses Textes.